Dienstag
04
Februar 2014

Gerd Albrecht und Hans Werner Henze

Stiftungsaktivitäten
von Michael Kerstan
Tief erschüttert haben wir die Nachricht vom Tode Gerd Albrechts vernommen. Der früh zu Ruhm gekommene Dirigent (mit 28 Jahren wurde er der jüngste GMD Deutschlands in Lübeck) war seit den späten 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Konstante im musikalischen Leben Hans Werner Henzes.

1967 kam es erstmals zu einer künstlerischen Begegnung: Albrecht sprang für Henze bei den Berliner Philharmonikern ein und dirigierte die Telemanniana, und 1971 führte er mit dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber auf. Als Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich gab er dem Komponisten einen Auftrag und besorgte dann 1977 die Uraufführung der Barcarola in Zürich, die er gleich danach auch an der Mailänder Scala dirigierte. 

Hans Werner Henze mit Gerd Albrecht, Fernsehkonzert des SFB 28.03.1987: Barcarola

Besonders verdienstvoll war die Wiederentdeckung der Bassariden, die Albrecht 1985 in Berlin mit dem RIAS-Sinfonieorchester gelang und die das Stück zu einem "Klassiker der Moderne" beförderte, der seither aus dem Aufführungskanon eines Opernhauses nicht mehr wegzudenken ist. Der Erfolg wiederholte sich u.a. 1996 mit Albrecht und den Münchner Philharmonikern.
Henze war fasziniert von Albrechts Idee eines "klingenden Museums" in Berlin, das Kindern einen intuitiven und sinnfälligen Zugang zu Klängen und Musik, vor allem zeitgenössischer, verschaffen könne und wurde ein eifriger Förderer dieses Projekts.

Für seine Europatournee mit dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra im Jahr 2000 bestellte Albrecht bei Henze ein neues Stück, die Sieben Boleros, die er dann wirkmächtig beim kanarischen Musikfestival in Las Palmas uraufführte. Begeistert von der Japan-Affinität Albrechts schlug Henze ihm dann vor, seine Oper Das Verratene Meer von 1990 auf den japanischen Urtext Mishimas zurückzuführen und mit diversen musikalischen und textlichen Erweiterungen eine japanische Uraufführung zu bewerkstelligen. Die gelang dann auch mit großem Erfolg und dem neuen, nun original japanischen Titel Gogo No Eiko  2003 in der Tokioter Suntory Hall. Gerd Albrecht dirigierte erneut das Yomiuri Nippon Symphony Orchestra. Den größten Coup landete er aber im Jahr 2006, zum 80. Geburtstag des Komponisten, als er Gogo No Eiko mit neuen Veränderungen, Strichen und Erweiterungen, wieder in japanischer Sprache, bei den Salzburger Festspielen (die damals von Peter Ruzicka geleitet wurden) aufführte, was einer erneuten Uraufführung gleichkam. Mit dem Turiner Nationalorchester der RAI spielte er das Stück außer in Salzburg auch in Berlin und Turin. Zur Vorbereitung dieses Werkes besuchte der Dirigent den Komponisten im Frühsommer 2006 in Marino und anlässlich der Salzburger Aufführung fand die letzte, sehr freundschaftliche Begegnung der beiden statt.

Nun trauern wir um Gerd Albrecht, den letzten Zeugen dieser großen und einzigartigen Künstlerfreundschaft.