Zweite Uraufführung der Sonate für Viola und Klavier (1946)

Zum anderen ist die Sonate vollkommen unbekannt: Kein Werkverzeichnis führt sie in ihren Listen, kein Biograph erwähnt sie, auch Henze nicht - er hatte sie vergessen. Lediglich einmal wurde sie gespielt, als Henze den Darmstädter Bratschisten Willi Horn in einem Studiokonzert am 29. September 1946 im Rahmen der ersten Ferienkurse für neue Musik begleitete. Danach verblieben die Manuskripte - eine Partitur und die Viola-Stimme - bei Horn und gelangten erst vor Kurzem in die Paul Sacher Stiftung. Das Stück erfuhr somit am 4. Mai 2021 seine zweite Uraufführung.

Als Henze die Sonate im März 1946 komponierte, war er 19 Jahre alt und hatte Militärdienst und Kriegsgefangenschaft hinter sich. Zwar hatte er 1942-43 für wenige Monate an der Staatsmusikschule in Braunschweig Musiktheorie und Schlagzeug studiert, doch seine eigentliche Ausbildungszeit lag zu dem Zeitpunkt noch vor ihm. Im Juni 1946 nahm er sein Kompositionsstudium bei Wolfgang Fortner in Heidelberg auf. Die Komposition fällt damit in jene Phase der Neuorientierung nach 1945, als die junge Komponistengeneration in Deutschland das zuvor Verfemte und Verdrängte für sich zu entdecken begann. Den größten Einfluss übten in den ersten Jahren der Neoklassizismus und hier vor allem das Werk Hindemiths aus. Henzes Sonate ist diese Orientierung deutlich eingeschrieben, angefangen vom allgemeinen Gestus und Charakter der Musik, wie er sich auch in den Satz-bezeichnungen niederschlägt, bis hin zur Faktur des Werks, beispielsweise in der motorischen Bewegungskontinuität oder in ausgreifenden Melodien und ostinaten Begleitfiguren. Das Stück deswegen als epigonal zu bezeichnen, wäre dennoch verfehlt, ist es doch vielmehr Zeugnis eines Aufbruchs, bei dem es nicht darum geht, «individuell» zu sein, sondern neues Terrain zu erschließen.