Henze und Hölderlin in Tübingen

Die Württembergische Philharmonie ehrt Hölderlin am 29. Februar unter anderem mit Henzes Symphonie Nr. 7

Von Armin Knauer

TÜBINGEN. Seltsam, dass es so wenig Konzerte zu 250 Jahren Hölderlin gibt. Wo seine Sprache doch als so musikalisch gilt. Aber das ist wohl das Problem: Hölderlins Sprache ist schon Musik, sie braucht keine zusätzlich. Die Württembergische Philharmonie wagt’s trotzdem, ehrt den Dichter mit Musik, am 29. Februar in der Tübinger Neuen Aula. Mit den Hölderlin-Hymnen von Richard Strauss, gesungen von der wunderbaren südafrikanischen Sopranistin Pumeza Matshikiza. Mit Beethovens »Prometheus«-Ouvertüre. Und mit der Symphonie Nr. 7 von Hans Werner Henze.

In Henzes Symphonie wird kein Wort Hölderlin gesprochen. Henze fängt darin die Aura des Dichters in Klang ein. Der dritte Satz beschreibt das Leiden des Genies in der psychiatrischen Klinik in Tübingen. Der vierte spiegelt klanglich dessen Gedicht »Hälfte des Lebens«.

Die Idee dazu kam Henze (1926–2012) in Tübingen. In den frühen 1980ern besuchte er die Stadt. Michael Kerstan, der dort gerade sein Diplom in Pädagogik gemacht hatte, zeigte Henze die Stätten Hölderlins. Das Stift, den Turm, die Autenrieth’sche Klinik. Besonders die Klinik habe Henze erschüttert. Die Tortur, die Hölderlin dort erlitten haben muss. Kaltwasseranwendungen, Schleuderkuren bis zur Ohnmacht, referiert Kerstan. Das habe als fortschrittliche Therapie gegolten. »Im Kopf hat Henze damals den dritten Satz seiner Sinfonie konzipiert«, sagt Kerstan, der heute der Henze-Stiftung vorsteht.

Henze und Hölderlin, zwei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten – und doch gab es Berührungspunkte, wie Kerstan bestätigt. Wie Hölderlin war auch Henze ein Außenseiter – als linksorientierter, politisch engagierter Künstler, aber auch weil er sich dem Dogma der seriellen Musik nicht unterwerfen wollte. Wie Hölderlin träumte Henze von einer utopischen Gesellschaft, die Schranken überwindet, Menschen aller Ethnien verbindet. Wie bei Hölderlin wurzelte diese Utopie in der griechisch-römischen Antike.

Henze und Kerstan hatten sich in den 80ern nicht zuletzt über die Hölderlin-Biografie von Pierre Bertaux ausgetauscht. Dieser deutet Hölderlins Zusammenbruch politisch – als Folge drohender Inhaftierung und der Misshandlungen der Zwangsbehandlung in Johann Heinrich Autenrieths Klinikum. Eine Deutung, die Henze ansprach, der sich seinerseits unverstanden fühlte. »Henze hat sich mit dem Außenseiter Hölderlin identifiziert«, sagt Kerstan. Kein Zufall, dass gerade Hölderlin zu einem Mittler wurde bei Henzes Versöhnung mit Deutschland.