© Hans Werner Henze-Stiftung

Radio-Interview auf WDR 3 und SWR 2

Am 2. September 2019 führte die Journalistin Nina Amin ein Gespräch mit Michael Kerstan auf La Leprara über die Zukunft des Henzeschen Anwesens. Es wurde am 19. September 2019 in der Reihe TonArt auf WDR 3 und am 24. September 2019 in der Reihe Treffpunkt Klassik auf SWR 2 ausgestrahlt.

Amin:
Hinter dem hohen Eisentor einer schmalen Straße in Marino beginnt eine andere Welt: "La Leprara", die Hasenweide, heißt das großzügige Anwesen, wo der Komponist Hans Werner Henze viele Jahrzehnte seines Lebens verbrachte und arbeitete. In den 60er Jahren ließ Henze dort, wo früher Mitglieder des römischen Adelsgeschlechts Colonna auf Hasenjagd gingen, sein Refugium errichten, eine Villa mit rund 500 qm Wohnraum, umgeben von wunderschönen Gärten. Ein Lieblingsort von Henze: die Terrasse hinter dem Haus mit Ausblick auf die Olivenbäume.

Kerstan:
Es sind genau 83, und Henze war ganz stolz, als er das Haus gebaut hat, musste er keinen einzigen Olivenbaum fällen lassen dafür, ...

 

... erzählt Michael Kerstan. Er hat den vor sieben Jahren verstorbenen Komponisten seit den 80er Jahren begleitet, zunächst als sein Assistent. Auch die letzten Lebensjahre war Kerstan an Henzes Seite in der Villa La Leprara. Heute leitet er die Hans Werner Henze-Stiftung mit Sitz in München, 2007 die Henze gegründet und als Haupterbin und Nachlassverwalterin eingesetzt hat. Ziel des Komponisten war es, junge Talente zu fördern und sein Lebenswerk zu verbreiten und zu sichern. Sein selbstgewähltes Künstlerexil, der Landsitz in der Nähe von Rom, sollte zu einem Ort der Musik und der Begegnung werden, doch die Villa muss bis Ende des Jahres verkauft werden, erzählt Kerstan.


Ja, die Hans Werner Henze-Stiftung kann das Haus nicht unterhalten. Es ist auch nicht vorgesehen in der Stiftungssatzung, die Henze selber mit verfasst hat, der Unterhalt ist viel zu teuer, um das so zu machen, wie man es machen müsste, und wir brauchen mittlerweile auch das Kapital, um die Stiftung weiterzuführen.


150.000 Euro kostet es die Stiftung jährlich, um das Anwesen zu unterhalten. Er habe die Kosten gerade etwas heruntergefahren, sagt Kerstan, trotzdem: Zwei fest angestellte Mitarbeiter und ein paar Hilfskräfte kümmern sich um Villa und die umliegenden Gärten. Der saftig grüne Rasen unter den Olivenbäumen steht einem englischen Rasen in nichts nach. Mit dem Gemüse- und Obstgarten auf der anderen Seite der Villa können Bewohner und Gäste komplett versorgt werden.


Tomaten haben wir hier - hier haben wir Porree, Bohnen, Erbsen, Melanzane, also Auberginen, Zucchini, Paprika, Gurken, Kohl, Salat und Obst.


Die Panorama-Aussicht vom Landhaus auf die Stadt Rom, die Berge, bis hin zur Küste ist einzigartig. Ein beheizbarer Pool, ein Federballplatz und viel Platz zum Spazieren machen das Anwesen zu einer Idylle - für junge Musiker ein idealer Ort um zu komponieren, findet Kerstan. Seit Jahren sucht er einen Träger, der die Villa Leprara in Henzes Sinn weiterführt.


In der Satzung seiner Stiftung, die er selber formuliert hat, steht, dass er junge Künstler fördern möchte, natürlich in erster Linie Komponisten. Also, wenn es nach mir ginge, würde eine deutsche Institution das Haus besitzen und betreiben im Sinne von Henze, das heißt, Künstler hier aufnehmen, die hier arbeiten können, Konzerte veranstalten, Ausstellungen veranstalten, auch Symposien veranstalten, vielleicht Meisterkurse ...


Gefunden hat der Stiftungsdirektor bislang niemanden. Auch bei der Bundesregierung sei er schon vorstellig geworden, sagt Kerstan, vergeblich. Auf Nachfrage des ARD-Studio Rom bei Kultur-Staatssekretärin Monika Grütters kommt folgende Antwort aus dem Pressebüro:
"Die Staatsministerin für Kultur und Medien fördert in Italien unter anderem Studienaufenthalte deutscher Künstlerinnen und Künstler in der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo und im Deutschen Studienzentrum Venedig. Darüber hinaus sind keine weiteren institutionellen Förderungen geplant."


Diese Haltung enttäusche ihn, erzählt Kerstan, vor allem, weil die Bundesregierung vor drei Jahren die kalifornische Villa des Schriftstellers Thomas Mann gekauft hat, um den drohenden Abriss zu verhindern. Heute ist dort eine Begegnungsstätte. Wäre das nicht auch dem Werk eines der bedeutendsten Komponisten der deutschen Nachkriegszeit angemessen, fragt sich der Direktor der Henze-Stiftung.


Vielleicht liegt's daran, dass Musik keinen Stellenwert hat. Man hat die Thomas Mann-Villa gekauft in Kalifornien für 13 Millionen Euro, die überhaupt nichts von Thomas Mann hat, nicht mal ein Stückchen Bleistift ist da übrig oder ein Blatt Papier, und er hat da zwei Bücher geschrieben, und hier ist die Hälfte des Lebenswerkes entstanden, und die ganze Einrichtung ist so erhalten, wie er sie zurückgelassen hat. Das wäre ein Kulturdenkmal erster Güte.


Beim Eintritt in die Villa befindet man sich als Besucher sofort in der Henzewelt. Jedes Stück freie Wand ist mit Kunstwerken verschiedenster Maler und Malerinnen behangen.


Man sieht schon hier, im Korridor, dass die bildende Kunst ein wichtiges Thema war im Hause. Man erhält auch schon einen kleinen Vorgeschmack von Henzes eigenen bildnerischen Arbeiten, so kleine Aquarelle, die er gemalt hat, oftmals Fantasien über Opern, die er gerade komponiert hat: Das hier betrifft, wenn mich nicht alles täuscht, Venus und Adonis, die Oper.


Der Schreibtisch, an dem Henze viele seiner Opern komponiert hat, steht im ersten Stock. Darauf liegen Papiere, angespitzte Bleistifte, Radiergummis und eine Lupe, so als ob der Komponist nur kurz das Zimmer verlassen hat. Der zentrale Raum der Villa aber ist das großzügige, opulent eingerichtete Wohnzimmer im Erdgeschoss, das beide Wohnflügel des Hauses mit einander verbindet. Hier fanden Hauskonzerte statt - zwei große Flügel stehen dafür immer noch bereit.
Auf dem Sekretär in der Mitte des Raumes steht ein Bild der verstorbenen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Sie war eine sehr enge Freundin von Henze.


Das ist Ingeborg Bachmann, Anfang der 70er Jahre, da sieht man, dass sie schon nicht mehr sehr gesund aussieht ...


Nachdenklich blickt Kerstan sich um. Sollte er bis Ende des Jahres niemanden finden, der die Villa genau so übernimmt, müssen tausende Gegenstände, Bücher und Bilder eingelagert werden. Das würde ihm das Herz brechen, so Kerstan, aber das Anwesen wird auch als reine Immobilie angeboten, für 1.250.000 Euro. Einen Platz in Marino wird Henze ohnehin ewig haben: Der Komponist liegt dort, in seiner Wahlheimat Italien begraben.

 

Interview Nina Amin-Michael Kerstan
geführt am 2.9.19 auf La Leprara, Marino
ausgestrahlt im WDR 3 am 19.09.19 6:17 (TonArt)
SWR 2 am 24.09.19 10:05 (Treffpunkt Klassik)

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