Dann gab es noch diese Zigarettengeschichte. Ich war damals noch Raucherin und Henze hatte aufgehört, was ich nicht wusste. Bei solch aufregenden Anlässen musste ich einfach eine rauchen. Der Festspielleiter schüttelte den Kopf: “Henze raucht nicht mehr, lassen Sie es bitte auch sein!” Ich legte also die Zigarettenschachtel weit weg von meinen Händen, was mir recht schwerfiel. Da nahm sich Henze eine Zigarette aus der Schachtel und reichte mir auch eine. Ich wollte sie ablehnen, er insistierte aber, beharrlich wie ein Dirigent und gab mir Feuer, woraufhin der Festspielleiter kopfschüttelnd Fotos von dieser Episode machte, die möglicherweise noch heute existieren. Zwei Wochen später rief mich Henze an, er wolle unbedingt den “Wartesaal”, ein Bild von 240 x 170cm Größe. Danach hatte ich ein Jahr lang keine finanziellen Sorgen mehr.
Allerdings musste ich sofort eine neue, große Leinwand kaufen. Die Leere an der Wand, wo das Bild hing, schrie, und mein Zimmer drohte einzustürzen. Die wunderschönen Briefe von H.W.H. waren guter Trost für den flügge gewordenen „Wartesaal“.
Ich glaube, es war im Januar 1996. Abends kam ich spät nach Hause. Das Licht im Treppenhaus ging nicht. Ich hörte, wie in meinem Atelier das Telefon nicht aufhörte zu klingeln und fand das Schlüsselloch nicht. Telefon, Telefon! Endlich war die Tür geöffnet, ich stürzte im Dunkeln zum Telefon, das immer noch klingelte, aber in der Hitze des Gefechts fiel es auf den Boden. Als ich den Hörer endlich gefunden hatte, sprach eine Stimme in mein Ohr: “Hier ist Fausto Moroni, ich möchte H.W.H. ein schönes Geburtstagsgeschenk machen und dachte dabei an das Bild ‚627 Tage bis zum Vulkanausbruch‘; es stand als Postkarte für eine Ausstellungseinladung wochenlang auf seinem Schreibtisch. Er darf aber vorher nichts davon erfahren.” Wir arrangierten dann einen ziemlich skurrilen Transport von Berlin nach Marino. Kurz danach erhielt ich wieder so einen feinen Brief von H.W.H.
Später lud er mich des Öfteren zu seinen Konzerten ein. Hinterher wurde elegant gespeist und parliert. Schon seit 1964 verbrachte war ich jedoch viel Zeit mit dem Dichter Johannes Schenk, meinem Lebensgefährten, in Worpswede, wo wir hinter einer 1,70 m hohen Holzpalisade in drei prächtigen alten Riesenzirkuswohnwagen und einem neun Meter langen Rettungsboot residierten in wundersam weiter, meernaher, traumhafter Landschaft.
Die elegante Korrespondenz mit H.W.H. dauerte an, auch wenn wir uns nur selten schrieben. Nun fehlt mir die Persönlichkeit Henze bitterlich. Seine Kompositionen leben jedoch weiter, dank der jungen Musiker, die von den Werken des Maestro begeistert sind.
Herzliche Grüße von
Natascha Ungeheuer