Eines Morgens im Februar 1945 kam ich, siebzehn Jahre alt, in verlauster Panzer-Uniform, mit einem Truppentransport Prag-Magdeburg, nach Berlin. Wir Soldaten bekamen einen Tag Urlaub. So stiegen wir aus am Bahnhof Zoo, und so erblickte ich zum ersten Mal die Hauptstadt Deutschlands: brennend, voller frischer Ruinen, Rauch, schwarzem Rauch, der die Sonne wie eine blässliche Vollmondscheibe aussehen ließ.
Nie werde ich die Flammen vergessen können, die in einigen Obergeschossen am Kurfürstendamm noch rotgelb aus den Fenstern loderten. Sie assoziierten sich für mich mit den lodernden Flammen von Synagogenbränden und den Scheiterhaufen für unerwünschte, das Volksempfinden verletzende Bücher. Trümmer, Glassplitter überall, wie Reminiszenzen der Kristallnacht von 1938, von der wir ja auch in den Provinzen gehört hatten, was sage ich, die überall, wo es Synagogen und jüdische Geschäfte gab, von Mitbürgern veranstaltet worden war, unter strikter Befolgung aus Berlin kommender Befehle. Nur waren jetzt die Rollen vertauscht, es brannten da keine Synagogen mehr, es starben da keine Juden: Nun waren wir dran, die Deutschen aller Klassen, wir, die wir im Namen eines überaus fadenscheinigen Nationalismus und einer absurden Ideologie ganz Europa in Trümmer gelegt hatten, die Millionen das Leben gekostet hat. Nun kamen unsere eigenen Verwandten und Freunde um, in den Flammen, im Bombenhagel, an den zusammenbrechenden Fronten, unter den nimmermüden Henkerbeilen des Volksgerichtshofs.
Dieser erste Eindruck von Berlin (es war übrigens befremdend still in den Straßen, keine Autos fuhren, der Schutt machte es wohl einstweilen unmöglich, nur das Prasseln der Flammen war zu hören) ist mir in der Seele haften geblieben für immer. Damals wusste ich ja noch nicht, dass ich überleben würde, geschweige denn, dass Berlin mir jemals etwas anderes bedeuten würde als die Apokalypse. Es ist nicht gut, wenn junge Menschen unter solchen Verhältnissen aufwachsen, es verdirbt ihnen das Gefühl für das Maß der Dinge, es entstellt ihnen das Bild von der Welt, es lässt unheilbare Verletzungen zurück. Deshalb ist es so wichtig, dass wir, die Älteren, mit den Jugendlichen gemeinsam für den Frieden in der Welt arbeiten und jegliche Form von Intoleranz ablehnen und bekämpfen.