von Clara Sand • Fotos: Fonseca
Der deutsche Komponist Hans Werner Henze besuchte unsere Hauptstadt um auf die Aufzeichnung seines Werkes Das Floß der Medusa, das Comandante Ernesto Guevara gewidmet ist, anzustoßen.
Die Idee zu diesem Werk hatte der Komponist schon seit einigen Jahren im Kopf, sein Text, geschrieben von dem Dichter Ernst Schnabel, ist inspiriert von Gericaults Gemälde über die Qualen der Überlebenden auf dem Floß, das aus den Balken der französischen Fregatte "La Medusa" gebaut wurde, die im 18 versenkt wurde. In diesem Oratorium für Sinfonieorchester, Solisten, Erzähler und Chor steht der Bariton links auf der Bühne und verkörpert die Figur des Jean-Charles, des Mulatten, der auf Gericaults Gemälde das rote Tuch links vom Floß schwenkt. Hinter ihm die Gruppe der Blasinstrumente und der Chor der Lebenden. Rechts die Sopranistin, die den Tod verkörpert, dahinter das Streicherensemble und der Chor der Toten, der Passagen aus der Göttlichen Komödie in den Text einstreut. Der Erzähler in der Mitte schildert die Handlung des Stücks. Gegen Ende des Stücks bewegt sich der Chor auf die rechte Seite der Bühne, vom Leben zum Tod.
Nachdem das Werk im Herbst 1967 begonnen worden war, inspirierte die Nachricht vom Tod des Comandante "Che" Guevara, den der Komponist zutiefst bewunderte, zur Widmung der Komposition, deren vermeintliche Uraufführung am 9. Dezember 1968 in einem Aufruhr kulminierte, den die Konfrontation von Reaktionären und Polizei mit revolutionären Studenten im Hamburger Theater Planten und Blumen auslöste.
Das 90-minütige Werk hat eine intensive Dramatik, die im Mittelteil etwas nachlässt, um dann im Höhepunkt des letzten Teils wieder anzusteigen. Diese Komposition ist von großer Konsistenz und stilistischer Einheitlichkeit. Die Streicher- und Bläsergruppen bewegen sich mit großer rhythmischer und melodischer Freiheit. Das Schlagzeug spielt eine wichtige Rolle bei den Soundeffekten. Die Stimmen werden unter Ausnutzung ihrer Möglichkeiten voll eingesetzt: scharfe melodische Intervalle, Chromatik und die Verwendung von Vierteltönen betonen den ergreifenden Ausdruck. Diese Komposition spiegelt die Kunst eines Komponisten wider, der mit meisterhafter Hand mit den Klangfarben umzugehen weiß, um seine Inspiration in Musik zu fassen.
Henze, Sohn bäuerlicher Eltern, begann im Alter von neun Jahren sein Klavier- und Harmoniestudium. Im Jahr 1943 trat er in das Braunschweiger Konservatorium ein. Im Alter von 16 Jahren, im Jahr 1944, wurde er in die deutsche Armee eingezogen. Nach Kriegsende arbeitete er in einer Fabrik als Verlader. Im Jahr 1946 begann er erneut, bei Fortner Klavier und Kontrapunkt zu studieren. In den Jahren 1948 und 1949 spezialisierte er sich bei Leibowitz auf die dodekaphonische Technik Schönbergs, und 1949 begann er seine Arbeit als Komponist und Dirigent am Theater. Der Katalog seiner Werke umfasst: Fünf Sinfonien (die fünfte wurde 1964 von der New Yorker Philharmonie unter der Leitung von Leonard Bernstein uraufgeführt). Sieben Ballette (darunter Undine, geschrieben für Margot Fonteyn und uraufgeführt im Londoner Covent Garden, und Tancredi, komponiert 1966 für Nurejew). Zwei Oratorien und andere Werke verschiedener Gattungen.
Die Presse der Bundesrepublik Deutschland würdigte Henzes Dirigat seiner fünf Sinfonien mit den Berliner Philharmonikern als den größten Erfolg, den ein zeitgenössischer Komponist jemals in Berlin erzielt hat.
Derzeit arbeitet der Komponist während seines Aufenthalts in Kuba an der Fertigstellung seiner sechsten Sinfonie, die im Oktober vom Orquestra Sinfónica Nacional uraufgeführt werden soll. Jeder Darsteller in diesem Werk wird ein Solist sein und es wird nur einen Satz haben.
"Sobald diese Sinfonie zu Ende ist", sagt Maestro Henze, "werde ich mit dem Werk "Cimarrón" beginnen, das auf dem gleichnamigen Buch des kubanischen Schriftstellers Miguel Barnet basiert." Henze erzählt uns von seiner Mitgliedschaft in der revolutionären Studentengruppe in Europa:
Seit vier Jahren vertrete ich nun schon revolutionäre politische Ideale. Ich lebe seit 1954 in Rom. Jedes Jahr besuche ich die BRD, um an der Präsentation meiner Werke teilzunehmen. Das kriegerische Vorgehen Westdeutschlands, die Einberufung zum Militär, die Atmosphäre der Frustration einer Jugend, die sich inmitten all des unbewussten Luxus, des Erbrechens des Imperialismus und des grausamen Feindes so vieler Hungernder und Bedürftiger, die es in so vielen Ländern der Welt immer noch gibt, bewegt, sind einige der Dinge, die einen großen Teil der Jugend, vor allem der Studenten, zum Nachdenken gebracht und sie dazu gebracht haben, neue Ideale zu schmieden.
Betrachten Sie, Herr Henze, Ihre Kunst losgelöst von der Politik?
Am Tag nach der Premiere von "Das Floß der Medusa" (9. Dezember 1968) wurden die Angriffe gegen mich im Fernsehen und in der Presse heftig. Ich musste mich auf das Komponieren beschränken, nicht auf die Politik. "Henze ist musikalischer Analphabet in Deutschland, er kennt weder Kunst noch Revolution" -- sagten sie --. Mehrere Theater haben meine Werke aus dem Programm genommen. Trotz Ratschlägen und Repressionen veröffentlichte ich in der Hamburger Zeitung "Die Zeit" einen Artikel mit dem Titel "Revolution in der Welt", in dem ich meine Vorstellungen darlegte: Kein Künstler wird glücklich schaffen können, bis das große Kunstwerk, die Weltrevolution, vollbracht ist.
Glauben Sie, dass das musikalische Werk sofort gefallen muss, um als künstlerisch zu gelten?
Ich denke, es ist dumm, so zu denken.
Wie hat das Publikum auf Ihre Stücke reagiert?
Fast alle Uraufführungen meiner Werke haben beim Publikum Unzufriedenheit hervorgerufen. Bei der Uraufführung von Antifona, einer meiner Kompositionen, die in drei aufeinander folgenden Konzerten von Herbert von Karajan dirigiert wurde, kam es zu Auseinandersetzungen im Publikum. In Rom war die Premiere meiner Oper "Boulevard Solitude" 1954 einer der größten Skandale in der Geschichte des Opernhauses. In den folgenden Jahren hat sich das römische Publikum an meine Musik gewöhnt. Es war schwierig, die traditionelle Bedeutung der Oper zu ändern, insbesondere in Italien.
Verwenden Sie beim Komponieren die neuen elektronischen Trends?
Nein, es gibt bereits zu viele Komponisten in diesem Bereich. Ich erkenne diese Musik als ein interessantes Element an, obwohl es davon abhängt, wer damit umgeht, ob die Ergebnisse positiv sind oder nicht. Luigi Nono hat sich die elektronische Technik in seinen Werken zunutze gemacht. Ich interessiere mich für die psychische Arbeit des Instrumentalisten.
Sie stimmen also nicht mit Stockhaussen überein?
Nein, abgesehen von diesem Grund bin ich der Meinung, dass seine Philosophie von Nietzsches "Übermensch" durchdrungen ist und daher den humanen Prinzipien des Marxismus widerspricht.
"Ich muss sagen --- sagt der deutsche Komponist, bevor er sich verabschiedet --- dass ich viel von den Kubanern lernen kann. Die Künstler, die ich getroffen habe, haben den Vorteil, dass sie sich gemeinsam mit dem revolutionären Prozess entwickelt haben. Das spürt man stark, sie sind anders als Künstler in kapitalistischen Gesellschaften, sie sind großzügig und ihr Geist ist frei".
Bohemia, La Habana, 18.04.1969, Übersetzung: M. Kerstan