Das Foto zeigt die Sopranistin Gloria Davy, Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann nach der Uraufführung. Der Komponist erinnert sich:
“Im Frühling 1957 schrieb ich Nachtstücke und Arien, mit Ingeborgs Gedichten Freies Geleit und Im Gewitter der Rosen. Das letztere bestand anfangs nur aus dem Vierzeiler
Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.
bis sie mir für die Komposition, aus Gründen der Symmetrie, noch einen zweiten Vierzeiler hinzuschrieb, der das Gedicht noch viel schöner macht:
Wo immer gelöscht wird, was die Rosen entzünden,
schwemmt Regen uns in den Fluß. O fernere Nacht!
Doch ein Blatt, das uns traf, treibt auf den Wellen
Bis zur Mündung uns nach.
In diesen Zeilen ist ungefähr die vorherrschende Stimmung von Nachtstücke und Arien wiedergegeben, auch wenn in der anderen Arie ein chorischer Hymnus auf eine schöne, atombombenfreie Zukunft gesungen und gespielt wird, was sich im instrumentalen Finale fortsetzt, in dessen Zentrum übrigens ein paar Noten aus dem Epilog von Ondine auftauchen.
Mit dieser Musik hatte ich wohl die extremste Gegenposition zur sogenannten Darmstädter Schule erreicht, und so nimmt es denn auch nicht weiter wunder, dass bei der von Gloria Davy gesungenen und von Hans Rosbaud glänzend dirigierten Uraufführung am 20. Oktober 1957 in Donaueschingen drei Vertreter des anderen Extrems, Boulez, Nono (mein Freund, der Gigi!) und Stockhausen, demonstrativ schon nach den ersten Takten von ihren Plätzen aufsprangen und den Saal verließen. So entwanden sie sich den Schönheiten meiner jüngsten Bemühungen! Das Kopfschütteln über meine kulturellen Entgleisungen wollte an diesem Abend überhaupt kein Ende mehr nehmen. Ingeborg und ich waren plötzlich Luft für gewisse Leute, die uns eigentlich kannten, ganz besonders für Herrn Dr. Strobel. Es herrschte im Überbau eine bestimmte Form von Empörung, wohl auch darüber, dass das Publikum unser Stück so lebhaft gefeiert hatte, und es trat so eine Art Bann in Kraft – eigentlich genau das, was ich mir so sehr gewünscht hatte. Es entstand der Eindruck, die ganze Musikwelt habe sich gegen mich gestellt. Eigentlich komisch und ethisch recht bedenklich: Wo blieb die kulturelle Freiheit? Wer oder was erlaubte sich, moralische Kriterien mit ästhetischen zu vermengen? Teddy Adorno? Nachtstücke ist doch ein schönes Stück! Alfred Andersch sagte mir am Abend zum Abschied: „Ach, was soll es, das nächste Mal schreibst du einfach etwqs weniger Pastellenes, dann ist alles wieder O.K.“ So einfach war das. Wenige Jahre später, am 23. und 25. September 1961, eröffneten Karl Böhm, Gloria Davy und die Philharmoniker die Berliner Festwochen mit Nachtstücke und Arien.“
Aus: Hans Werner Henze: Reiselieder mit böhmischen Quinten. Frankfurt 1996, S. 181-183