Geburtstagskonzert für Maestro Henze
von Christa Blenk
Michael Kerstan hat in Ariccia – zusammen mit dem Bürgermeister - ein außergewöhnliches Geburtstagskonzert für den großen Maestro Hans Werner Henze organisiert.
Ariccia ist eine sehr alte Stadt 26 km südöstlich von Rom im Gebiet der Castelli Romani. Ariccia liegt auch am Nemi-See und genau auf der anderen Seite, dort wo die Göttin Diana zu jagen pflegte und ihr Sanktuarium steht, befindet sich der Ort Marino ( hier spielt übrigens auch der zweite Teil von Henzes Oper Phädra). In Marino hat Henze über 50 Jahre gelebt und dort, in der Villa Leprara, ist nach seinem Tod die Hans Werner Henze Stiftung entstanden.
Gestern Abend haben sich also das Daegu MBC Symphony Orchestra, Mitglieder des Phorminx Ensembles Darmstadt, der Dirigent Kushtrim Gashi, Michael Kerstan, der Geschäftsführer und künstlerische Berater der Hans Werner Henze Stiftung (er hat das Konzert auch organisiert) und vier Komponisten dort getroffen, um dem 2012 verstorbenen Maestro ein grandioses, überraschendes und ganz besonders Geburtstagskonzert zu schenken. Hans Werner Henze wäre am 1. Juli 89 Jahre geworden!
Sieben neue Kompositionen von sieben Komponisten, von denen vier gestern Abend auch anwesend waren, wurden aufgeführt.
Volker Blumenthaler (*1951) war 1977 und 1982 Teilnehmer an den von Hans Werner Henze organisierten Cantiere Internazionale d’arte in Montepulciano. Seine kurze Komposition early colours in memorium Hans Werner Henze ist 2015 entstanden. Er schickt seine Musik vom nebeligen Morgengrauen ängstlich durch den Wald dem Licht und den Sonnenaufgangsfarben entgegen. Die nötige Chromatik kam von einer einfühlsamen Solo-Klarinette. Wir hören Geigen-Vögel, vielleicht sogar den Wiedehopf, Henzes Lieblingsvogel, dem er sogar eine Oper gewidmet hat!
Das zweite Stück In the Moment (before the tears flow) für Solo-Cello (Wolfgang Lessing) und Ensemble hat die junge Koreanerin Sungmi Parks , die beim Konzert anwesend war, ebenfalls 2015 für dieses Konzert komponiert. Eine traurige, manchmal weinende Komposition, die durch Rhythmus und Dynamik immer mehr an Kraft gewinnt und die Trauer so überwindet. Harmonisches Flöten-Klarinetten-Finale.
Der Südkoreaner Kyu-Yung Chin hat das dritte Werk komponiert. From the Orient für Altflöte und Streichorchester versetzte uns in die Mitte einer Schlangenbeschwörung. Die immer wieder eingebauten Gong-Töne lähmen die Schlange für ein paar Sekunden, bis sie sich wieder in Bewegung setzt. Kyu-Yung Chin hat in Karlsruhe studiert. Angelika Bender ist eine wunderbare Flötistin, die schon seit fast 20 Jahren beim Phorminx Ensemble spielt.
Der Niederländer Cord Meijering, von dem das folgende Stück stammte, ist Mitbegründer des Ensemble Phorminx und lebt heute in Darmstadt. Er hat auch die Verbindung zu dem koreanischen Orchester hergestellt. Von 1983 – 1986 hat er bei Hans Werner Henze an der Musikhochschule Köln studiert und dem Maestro schon zu dessen 80. Geburtstag 2006 das Werk "Neue Lieder aus Italien und Deutschland" dediziert. Tombeau de Hans Werner Henze per violoncello e 13 strumenti, ist ebenfalls 2015 entstanden. Nach dem Konzert erzählte Meijering, dass er dabei an eine Komposition des französischen Komponisten Gaultier dachte, der seinem Lehrer Mézangeau (Le tombeau de Mézangeau) gleichfalls eine Komposition widmete, inspiriert. Eine Trauermusik, lyrisch und fast post-romantisch, die den Schmerz über den Tod seines Maestro beschreibt. Die Trompete beginnt mit einem Tusch bis eine Art Trauermarch, obwohl es kein Marsch ist, einsetzt. Man denkt ganz kurz an ein Staatsbegräbnis, oder jedenfalls an das Begräbnis eines großen Mannes, schubertianische Hommagen und symphonische Ansätze werden mit einem ausatmenden Seufzer beendet – die Musiker senken den Kopf und es folgt eine gefühlte Trauerminute. Sehr gelungene Komposition, ganz im Sinne von Henze, der sicher sehr stolz auf seinen Schüler gewesen wäre.
Auch Myung-Whun Chois Komposition entstand 2015 zu Ehren des Meisters. Mo-rahms II für Klarinette und Ensemble ist ein Augenzwinkern auf das abrupte Zusammentreffen zweier Kulturen, eine Suche nach dem Ich. Myung-Whun Choi hat in Deutschland studiert und die Klarinette in diesem köstlichen Werk zitiert permanent Mozart und Brahms. Thomas Löffler hat sich auch richtig amüsiert damit – wir auch!
Da es kein Programmheft gab, hat Michael Kerstan jedes Stück immer vorher angekündigt und ein wenig über den Komponisten erzählt. Das war sehr angenehm und hat die Luft für die folgende Stück gereinigt.
Als nächster kam der Maestro selber an die Reihe. Hans Werner Henzes Fantasia für Streicher ist 1966 entstanden; Schlöndorff bat Henze um die Musik zu seinem ersten Film nach Musils „Törless“. Henze war 40 Jahre alt und befand sich in einer unheimlich produktiven Phase, nachdem er beschlossen hatte, sich nur noch aufs Komponieren zu beschränken. Sein junger Partner Fausto Moroni kümmerte sich um den seit 1963 immer wieder unterbrochenen Hausbau in Marino. Weihnachten desselben Jahres konnten sie aber dann schon zusammen mit Ingeborg Bachmann in – La Leprara feiern – mit einem nicht mehr rauchendem Kamin (wie Henze selber in den Reisebildern und Böhmischen Quinten schreibt) feiern.
Die Törless-Streichersuite war die perfekte Ergänzung und hob zugleich diesen großen Komponisten hervor. Henze hat hierfür Renaissance-Instrumente vorgegeben, um das komplizierte dekadent-morbide Innenleben des Studenten Törless zu beschreiben. Elegisch-spätromantisch und energisch. Wunderbar präsentiert von 9 Streichern des Daegu MBC Orchesters unter dem Dirigenten aus dem Kosovo, Kushtrum Gashi.
Den Abschluss machte Sung-Ho Hwang mit Cliché (2015) . Es ist ein Dialog zwischen Klarinette und Querflöte, ein ständiges hin und her und sich nicht entscheiden wollen. Die keifende Klarinette antwortet der eher kompromissbereiten Querflöte, schnell und lebhaft, beschwingt und mit vielen klassischen Referenzen versetzt. Sehr schwer zu spielen, sagte uns die Flötistin später.
Das Ensemble Phorminx wurde 1993 von Musikerinnen, Musikern und Komponisten in Darmstadt gegründet und die drei Solisten, Thomas Löffler (Klarinette), Angelika Bender (Flöte) und Wolfgang Lessing (Cello), sind schon so gut wie seit der Gründung dabei und haben gemeinsam studiert.
Alle Werke hatten eines gemeinsam, sie sind im Sinne von Henze entstanden und waren geprägt von einem nicht zu überhörenden Mut zur Lyrik! Uraufgeführt wurden diese Kompositionen vor ein paar Tagen in Darmstadt und in Daegue.
„ Ich möchte gerne, dass meine Musik in Zukunft (d.h. nach meinem Ableben) die gleiche Wirkung ausübt wie heute und dass sie weiterhin zu einer Hörerschaft sprechen kann, die mit den kulturellen und sozialen Belangen der Zeit vertraut ist …..“ (Hans Werner Henze)
Genau das ist gestern Abend in Ariccia der Fall gewesen.
Am Freitag reisen sie alle Richtung Deutschland, um in Nürnberg am Samstag dieses außergewöhnliche Konzert zu wiederholen.